Es war 22:50

Es war 22:50.

 

Ich schloss die Haustür hinter mir. Ich musste mich zusammenreißen nicht zu weinen. Er sollte mich nicht weinen sehen. Ich sah nach links über meine Schulter und blinzelte, damit sich keine Tränen bilden konnten. Wir gingen zum Auto. Ich sah ihn an und sah dass er scheinbar wieder dachte, dass er ja immer mit schlechtem Gewissen mich nach Hause fahren musste. Ich war genervt. „Du schmeißt mich nicht raus, ok? Ich gehe von selbst“ sagte ich. „Tust du nicht“ sagte er. Ich schaute ihn an während ich die Beifahrertür öffnete. „Doch, ist jetzt egal.“, sagte ich und stieg ein.

Ich wollte nicht fahren. Ich hatte mich so sehr auf ein schönes Wochenende gefreut, nur mit mir und ihm. Mir stand ein paar Tage später meine letzte und schwierigste Abiturklausur bevor und ich wollte mich ein letztes Mal entspannen. Ich wollte einfach glücklich sein und das schöne Wetter genießen. Letztendlich stand ich Stunde für Stunde neben ihm und seiner Familie und habe nichts tun können außer mich zu langweilen und einfach nur unglücklich zu sein. Die Nächte hatte ich auch nicht gut geschlafen. Ich hätte jede Sekunde dieses Wochenendes anfangen können zu weinen.

Ich saß im Auto und dachte darüber nach, als er den Motor startete und losfuhr. Wir wollten eigentlich schon früher losfahren, als es noch hell war, aber daraus wurde auch nichts, denn es gab ein Problem mit dem neuen Pool, an dem sie das ganze Wochenende gearbeitet hatten. Er half seinem Vater. Es war spät und ich fragte ihn ob er mich am nächsten Morgen fahren könnte. Ich wäre besser gelaunt gewesen und hätte meine Emotionen besser unter Kontrolle gehabt. Daraus wurde nichts, denn er meinte: „Ich weiß nicht, ich muss noch zum Arzt, muss mein Fahrrad noch sauber machen etc., kann sein, dass ich dich dann doch erst um 18 Uhr nach Hause fahren kann“. Daraufhin verschlug ich den Vorschlag und ging in den Flur. Ich wollte nicht gehen. Ich hätte mir gewünscht, er hätte anders reagiert.

Wir fuhren los. Er sagte Dinge wie: „ich kann noch umdrehen wenn du magst, sag du.“. Ich wollte aber nicht entscheiden. Es war seine Entscheidung. Ich wollte nur einmal, dass er mich als Priorität sah und hoffte er würde mit dem Auto anhalten und sagen: „Nein! Weißt du was, ich lasse dich nicht gehen. Ich will, dass du hier bleibst. Ich möchte, dass du diese Nacht bei mir schläfst.“, das Auto dreht und zurückfährt. Doch er sagte es nicht. Er fuhr weiter. Wir hörten das Lied „Pretty Woman“ und ich sagte: „Jetzt weißt du, welchen Film ich nachher gucke… allein“. Ich wollte ihm damit nochmal eins reinwürgen und sagte aber direkt danach: „Nein Spaß“. Er atmete hörbar laut aus und sagte: „ Da vorne ist ein Kreisverkehr, noch kann ich zurückfahren.“

Ich sagte ihm wie bereits am Anfang, er solle mich nach Hause fahren, hoffte aber inständig er würde nicht die Ausfahrt in Richtung Würselen nehmen. Er fuhr daran vorbei und fragte erneut. Ich antwortete dasselbe, aber eher mit einem gewissen Unterton. Er fuhr nicht zurück. Ich hätte fast angefangen zu weinen. Ich hätte am liebsten gesagt: „Fahr mich zurück, ich liebe dich, ich will bei dir sein und mit dir zusammen einschlafen“, aber ich wusste, dass er sich vorher hatte rausreden wollen und scheinbar nicht wollte, dass ich dort am nächsten Tag sein würde. Seit er ein Elektro-Mountainbike besaß, hatte ich kaum Zeit mit ihm gehabt. Bei fast jedem Treffen nannte er das Problem, er müsse sein Fahrrad noch säubern und wolle noch eine Runde damit fahren „weshalb ich nicht so lange bleiben kann.“ Jaja…dieser Satz ist mir bereits bekannt. Ich bin ehrlich, ich wünsche ihm den Spaß. Er soll glücklich sein. Aber muss ich wirklich wegen dieser Sache fast komplett auf mein Glück verzichten? Ich habe keine Lust die zweite Geige zu spielen. Ich habe mehr verdient, vor allem, weil er es mir versprochen hatte. Möglicherweise ist aber einfach nur meine Wahrnehmung gestört oder ich habe zu hohe Erwartungen. Die Verabschiedung an meiner Haustür verlief schnell. Er sagte meinen Eltern nicht hallo, aber es war nicht wirklich schlimm. Man merkte, dass er sich schlecht fühlte. Mir war es recht, ich habe mich immerhin zwei ganze Tage schlecht gefühlt. Ich war müde.

 

Es war 23:37.